Eine Geschichte von unserer Freundin Sylvia Lietsch aus Eibau

Endlich ist es Sommer. Ein warmer Abend mitten in der Woche. Die Meteorologen werden morgen sagen: Es war eine tropische Nacht in Deutschland.
Bis vor wenigen Minuten haben wir mit Blick in die kleinen Gassen der Altstadt zwischen Palmen und blühenden Oleandersträuchen auf der Terrasse eines griechischen Restaurant gesessen, Rotwein und Ouzo getrunken und uns mit Oliven, gefüllten Peperoni mit Knoblauch und gebackenem Schafskäse verwöhnen lassen. Aber irgendwann fordert der lange Arbeitstag seinen Tribut und wir sehnen uns nach unseren Betten. 

alte Eiche Nahe bei Bautzen

Während Paul nur ein paar Schritte über die Straße zu gehen hat, um in sein Bett zu kommen, mache ich mich auf den Weg durch die kleinen Gassen, die 120 Stufen hinauf zum Schlossgarten, über den Schlosshof und durch den Park mit den alten Eichen zum Parkplatz auf dem mein Schlafsack im blauen Kombi wartet.
Paul ist Gentleman und begleitet mich noch bis zu den Stufen, die hinauf auf den Sonnenstein führen. Mit den Worten „Gib acht auf das, was dir begegnet“, verabschiedet er sich mit einem Augenzwinkern und seinem durchdringenden Blick, den ich überhaupt nicht mag. Aha, da war er also wieder der Schamane, denke ich. Nicht zum ersten Mal entlässt er mich mit diesen Worten in die Dunkelheit.

Langsam steige ich die Stufen nach oben. Achtsam, Schritt für Schritt. Ab und zu drehe ich mich um, schaue auf die Lichter der Stadt, die kleiner und kleiner werden. Von Paul ist längst nichts mehr zu sehen.

Der Aufgang ist gut beleuchtet. Aus dem Biergarten oben am Schloss dringen Stimmen zu mir. Auch dort genießt man noch die warme Sommernacht mit Blick auf die Stadt. Ich überlege nur kurz, ob ich mich für eine halbe Stunde an einen der freien Tische setzen sollte, um die nächtliche Stadt bei einem Glas „Irgendwas“ auf mich wirken zu lassen. Doch wie schon so viele Male vorher zieht es mich in den dunklen Schlosspark.

Am schweren Eisentor, das immer geöffnet ist, bleibe ich stehen, lasse meinen Augen Zeit, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Bis hierher hat mich das gelbliche Licht der Straßenlaternen begleitet. Ab jetzt wird mich der schwarze Mantel der Nacht umhüllen. Die großen alten Eichen am Eingang werfen ihre dunklen Schatten auf den Weg, den ich jetzt nehme. Nach wenigen Schritten umgibt mich nur noch Dunkelheit. Ein Lüftchen streicht durch die Bäume, lässt die Blätter leise rascheln. Eicheln fallen geräuschvoll zu Boden. Irgendwo knackt ein Ast, ein Käuzchen schreit. In der Ferne bellt ein Hund. Ich bleibe stehen, lausche, blicke nach oben durch das Blätterdach an den dunklen wolkenlosen Himmel. Ein paar Sterne funkeln, als wollten sie mir den Weg weisen. Noch ist er breit, aber sehr holprig, durchzogen von Wurzelausläufern und hervorstehenden Steinen. Eicheln knacken unter meinen Füßen als ich weitergehe. An einer Gabelung muss ich mich entscheiden. Ich wähle den Trampelpfad durch hohes Gras hinüber zur Kirche, vorbei an der zugewachsenen Feuerstelle, hin zu dem Druidenstein. An einer Eiche zwischen Kirche und Stein bleibe ich stehen und lehne mich mit dem Rücken an ihren dicken Stamm.
Glühwürmchen fliegen wie kleine Irrlichter über der ungemähten Wiese umher. Durch das bunte Glas der Kirchenfenster schimmern die Lichter der Straßenbeleuchtung und der Scheinwerfer von Autos, die zu so später Stunde noch auf der Bundesstraße dort drüben auf der anderen Seite unterwegs sind.

Ich starre auf das bunte Farbenspiel bis es erschwimmt. Vor meinem inneren Auge entsteht eine Kirche, hell erleuchtet, mit einer prächtigen Kuppel und großen, mit Bildern von Engeln verzierten Fenstern. Ich höre Glocken läuten und die leisen Klänge einer Harfe, die wenig später von Orgelmusik übertönt wird.

„Willst du nicht nachsehen, wer da so schön spielt?“, höre ich die mir gut bekannte Stimme des Weisen Alten. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. „Warum nicht?“, bohrt er weiter. „Dann ist der Zauber dieses Moments vorbei“, erwidere ich, ohne ihn anzublicken. „Siehst du sie nicht, die vielen Glühwürmchen vor uns, das Funkeln der Sterne über uns, hörst du nicht das leise Rascheln des Laubes und dazu die Musik aus der Nacht?“
„Die Glühwürmchen sehe ich und das Rascheln der Blätter kann ich auch hören. Und es ist hier ganz schön unheimlich, finden Sie nicht auch?“, antwortet mir eine Stimme aus dem Dunkel der Nacht. Ich öffne die Augen und trete einen Schritt nach vorn, zurück auf den Trampelpfad, der durch die Wiese führt. „Huch!“ kreischt eine Frau, die eine Taschenlampe in der Hand hält, als ich ihr fast auf die Füße trete. Sie leuchtet mir direkt ins Gesicht. „Jetzt haben Sie mich aber erschreckt!“, ergänzt sie.. Dann leuchtet sie die Umgebung ab. „Ich habe Stimmen gehört“, meint sie und schaut sich suchend um.

„Ja?“, frage ich ganz erstaunt.

„Ja. Sie haben doch mit jemandem geredet. Und eine Männerstimme hat geantwortet“, Wieder leuchtet sie hinter den Baum, an dem ich gestanden habe, hinüber zur Kirche und auf den kleinen Pfad vor uns.

„Sind Sie sicher?“, frage ich zurück.

„Ja, ich bin doch nicht senil! Ihr Begleiter kann sich jetzt ruhig zeigen. Ich finde das nicht witzig. Zumindest nicht hier und nicht um diese Zeit.“
Die Turmuhr vom Schloss schlägt zwölf Mal – Mitternacht. Ich zucke mit den Schultern. „Ich bin allein hier, wollte nur ein wenig die nächtliche Stimmung genießen“, versuche ich die nun sichtlich verwirrte Frau zu beruhigen.

„Aber ich habe doch Stimmen gehört!“ Die Frau schüttelt ungläubig den Kopf. Ich drehe mich noch einmal um, schaue zur Eiche. Dorthin, wo noch immer der Weise Alte steht und lächelt. Ich nicke ihm zum Abschied zu. Ein Käuzchen fliegt aus dem Baum und die Frau schreit noch einmal: „Huch! Es ist einfach unheimlich in diesem Park, finden Sie nicht auch.“

„Ja, irgendwie schon“, pflichte ich ihr bei. Und lächelnd stapfe ich hinter ihr durch das hohe dürre Gras in Richtung Parkplatz.

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